Start-up Seniorsatwork: Ruhestand muss nicht gleich ­Arbeitsende heissen
Quelle: Seniorsatwork

Start-up Seniorsatwork: Ruhestand muss nicht gleich ­Arbeitsende heissen

Mit Seniorsatwork will Gründer Alexis Weil arbeitswillige Pensionäre weiterbeschäftigen, der Altersdiskriminierung von Arbeitnehmern ab 50 Jahren entgegenwirken und gleichzeitig den Fachkräftemangel entschärfen. Die Gründungsidee kam ihm, als sein Vater in den Ruhestand trat.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/05

     

Verschiedene Branchen kämpfen mit unzureichendem Personal, gleichzeitig gehen die zahlreichen Vertreter der Baby­boomer-Generation allmählich in den Ruhestand über – obwohl viele von ihnen weiterarbeiten könnten und auch wollen, und sei es bloss Teilzeit. Ein Zustand, in welchem Minus und Minus leider nicht Plus ergibt, sondern das Problem zusätzlich verschärft. Mit der Job-Plattform und Community Seniorsatwork möchte Gründer Alexis Weil aus den beiden Minus zwei Plus generieren: Einerseits können Pensionierte nach Bedarf arbeiten und bei Projekten mitwirken, andererseits können Unternehmen gezielt erfahrene Fachkräfte rekrutieren. Die Gründungsidee kam Weil aber nicht mit Blick auf den Arbeitsmarkt, sondern auf seinen eigenen Vater. «Als mein Vater in Pension ging wurde mir bewusst, dass eine Person voller Erfahrung und Lebensenergie vom System aus in den Ruhestand treten sollte», gibt der Gründer und Geschäftsführer zu Protokoll. Den ganzen Tag mit Golf und Schiff fahren zu verbringen, war für Weil Senior keine Option und so suchte er nach einer Möglichkeit, weiterhin im Berufsleben aktiv zu bleiben. Weil Junior liess das Aufhorchen und führte diverse Gespräche aus dem persönlichen Umfeld seines Vaters. Diese führten zutage, dass viele das Gefühl hätten, ihnen sei etwas weggenommen worden. Ausserdem monierte das Umfeld einiger frisch gebackener Rentner, dass sich deren Persönlichkeit negativ verändert hätte und die geistige Leistungsfähigkeit abnähme. All diese Aussagen führten schliesslich dazu, dass Weil mit der Planung einer Job-Plattform begann, die sich ausschliesslich an Rentner richtet

Learnings aus Scheitern gezogen

Weil versuchte sich bereits 2016 als Start-up-Gründer mit der Idee einer Plattform, Leute zusammenzubringen, die für die Ausübung einer Team-Sportart einen oder mehrere Teamplayer finden können. Jedoch, so Weil, tappte er in die Fallen klassischer Anfängerfehler und verlor mit diesem Projekt Zeit und Geld. Allerdings ermöglichte ihm das vorhergegangene Scheitern, im Jahr 2018 mit deutlich besserem Know-how und gesteigerter Effizienz Seniorsatwork ganz alleine aufzuziehen. Auch die technischen Skills, um die Plattform live zu schalten, erlernte Weil selber. 2019 war eine erste Version von Seniorsatwork schliesslich online. Sehr motivierend für Weil war dann, dass sein zweites Projekt auf sehr viel mehr Resonanz gestossen ist: «Das Konzept war komplett neu, das machte die Leute neugierig auf die Plattform», so der Gründer.


Auch aus finanzieller Sicht lief es für den Unternehmer beim zweiten Anlauf deutlich besser. Seniorsatwork konnte kurz vor dem Launch einen Start-up-Wettbewerb einer Versicherung gewinnen und anschliessend bei der Höhle der Löwen vorstellig werden. Weil war in der Lage, bei beiden Veranstaltungen eine kleine Finanzierung für sich zu gewinnen. Ebenso konnte sich die noch junge Firma über erste Medienreviews freuen. Diese Erfolge seien für ihn sehr motivierend gewesen und haben Weil dazu bewogen, trotz hauptsächlich privater Finanzierung durch sich selbst erste Mitarbeitende anzustellen. Erst später kamen Investoren von Business Angels dazu.

Durchhaltevermögen während Corona bewiesen

Knapp ein Jahr später schlug das Schicksal in Form von Corona jedoch gnadenlos zu. Einerseits waren die Umstände durch das erzwungene Remote-Arbeiten für das junge Start-up schwierig. Noch härter war jedoch die Bedrohung des eigentlichen Kerngeschäfts. Senioren galten fortan als Risikogruppe und wer wollte schon ein Risiko für seine Firma einstellen? Weil gibt offen zu, dass er Angst hatte, erneut alles zu verlieren. Doch anstatt zu resignieren begann Seniorsatwork, sich eine Community aufzubauen und für diese präsent zu sein. Um die Zeit sinnvoll zu nutzen, führte das Start-up mit den angemeldeten Senioren sowie Firmen Webinare und Online-Events durch. Erst 2022 konnte das ursprüngliche Ziel der Firma wieder weiterverfolgt werden.

Weil vollzog zu diesem Zeitpunkt auch eine Änderung der Tarifstruktur. Während eine Mitgliedschaft bei der Plattform bislang für beide Parteien – Arbeitgeber und Senioren – kostenlos war, so war diese fortan mit Mitgliedskosten für Senioren und Inserierungsgebühren für Firmen verbunden. Weil begründet die ersten Gratis-Jahre damit, dass sein primäres Ziel darin lag, möglichst schnell möglichst viele Mitglieder auf die Community aufmerksam zu machen. Nun war aber der Zeitpunkt gekommen, das Ganze zu monetarisieren und die Einnahmen zu reinvestieren. Der Break-even ist zwar noch nicht erreicht und ist gemäss Weil auch nicht das primäre Ziel. Stattdessen konzentriert er sich darauf, das Wachstum der Plattform voranzutreiben und möglichst viele Firmen, sprich Arbeitgeber, für Seniorsatwork zu gewinnen.


Heute beschäftigt Weil ein hybrides Team. Ein Programmierer arbeitet in der Ukraine, zudem sind eine Mitarbeiterin im Bereich Marketing und Customer Sucess sowie ein vierköpfiges Verkaufsteam in der Schweiz beschäftigt. Die Sales-Fachpersonen sind ausserdem – getreu dem eigenen Ansatz – alle über 50 Jahre alt. Zudem besteht eine Partnerschaft mit einer Marketingagentur in Wien, welche die sozialen Kanäle betreut.

Breites Spektrum an Branchen

Mittlerweile steht Seniorsatwork nicht nur Pensionären, sondern generell Leuten ab 50 Jahren zur Verfügung. Weil hat erkannt, dass auch diese Altersgruppe extrem von seiner Plattform profitieren kann, denn die traurige Realität ist, dass Altersdiskriminierung an der Tagesordnung liegt. «Ältere Personen auf Arbeitssuche bewerben sich beispielsweise über ein Online-Portal und empfangen zwei Minuten nach dem Absenden der Bewerbung die Absage mit einer fadenscheinigen Begründung. Die Wahrheit ist jedoch: Die Firma hat eine Altersobergrenze gesetzt», konstatiert Weil.

Auf Seniorsatwork steht genau dieser Altersgruppe ein breites Angebot an Stellen in allen möglichen Branchen zur Verfügung. Besonders populär sind gemäss Weil die Branche Finanzen und Treuhand, das Baugewerbe, die Immobilien-­Branche, Sales-Personen, handwerkliche Berufe sowie die Betreuung und Pflege. Eine Mitgliedschaft als Arbeitssuchender ist grundsätzlich kostenlos, für erweiterte Funktionalität sowie bessere Sichtbarkeit des eigenen Profils gibt es aber auch Premium-Angebote. Deren Kosten belaufen sich je nach Funktionsumfang zwischen 89 und 225 Franken jährlich. Wie man es von anderen Jobbörsen kennt, kann man auf der Plattform nicht nur nach offenen Stellen suchen, sondern auch sein eigenes Profil erstellen. Somit besteht auch die Möglichkeit, dass man von Firmen oder von Personalvermittlern, welche ebenfalls auf der Plattform tätig sind, angeschrieben wird.


Firmen bezahlen nicht direkt für die Mitgliedschaft, sondern für die Anzahl an Inseraten sowie das Volumen an Stellenprozenten, welches vermittelt werden soll. Weil begründet die Vorteile seiner Plattform für Firmen mit den Argumenten, dass Seniorsatwork ausschliesslich qualifizierte Fachkräfte vermittelt. Darüber ­hinaus sei diese Altersgruppe hoch motiviert. Ausserdem, so Weil, performen gemäss ihm bekannten Studien altersdurch­mischte Teams am besten. Der Gründer unterstreicht auch, dass Seniorsatwork hauptsächlich «richtige» Jobs – sei es Voll-, Teilzeit oder auf Freelance-­Basis – in Fachbereichen anbietet. Inserate, um sich in der Freizeit beispielsweise mit Rasenmähen einen Zustupf zu verdienen, sind auf seiner Plattform die Ausnahme.

Erstkontakt als Hauptziel

Derzeit sind gemäss Weil über 50’000 Arbeitnehmende – er nennt sie Senior Talents – auf der Plattform registriert. Die Plattform wächst um rund 2000 Neuregistrierungen pro Monat. Denen gegenüber stehen ungefähr 5500 Arbeitgeber, wovon viele mehrere Jobs zu vergeben haben. Während seitens der Arbeitsuchenden mittlerweile auf organisches Wachstum vertraut werden kann, arbeitet Seniorsatwork mit seinem Sales-Team aktiv daran, dass das Verhältnis von Usern und Firmen in einem gesunden Gleichgewicht steht.


Weil berichtet, dass es auf seiner Plattform monatlich zu rund 500 bis 600 Job­anfragen beiderseits kommt. Seniorsatwork bietet zwar noch eine Messenger-Funktion an, aber sobald sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gefunden haben, läuft deren Verhandlung grundsätzlich nicht mehr über die Plattform, sondern individuell. Auch bezüglich Anstellung, Arbeitsvertrag oder Sozialleistungen ist Seniorsatwork nicht mehr involviert. Für Firmen, welche die administrativen Angelegenheiten outsourcen möchten, bietet Seniorsatwork mit Hilfe eines Partners die Möglichkeit, Tasks wie Lohnzahlung, Lohnabrechnung und Versicherung zu übernehmen.

Mehr als eine Jobplattform

Weil schwebt vor, aus Seniorsatwork mehr als nur eine Jobbörse zu machen. So ist für die nahe Zukunft angedacht, dass über die Plattform auch Coachings und Weiterbildungen speziell für die ältere Zielgruppe angeboten werden. Unter anderem damit möchte Weil auch das Image der älteren Personen loswerden, dass diese konservativ und festgefahren seien. Stattdessen möchte Weil die Senior Talents als erfahrene, innovative und stets auf dem aktuellen Stand der Dinge stehende Zielgruppe anpreisen. Da das Problem des Fachkräftemangels auf kurze Zeit nicht verschwinden wird, hat Weil mit Seniorsatwork für Personen, welche nach der Pensionierung nicht auf der faulen Haut liegen möchten, eine schöne Win-win-Situation geschaffen.


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