Fallbeispiel: Wenn KI die Belege abtippt
Quelle: Interdiscount

Fallbeispiel: Wenn KI die Belege abtippt

Interdiscount setzt für die Verarbeitung von Rechnungen, Bestellungen und ­weiteren Dokumenten auf eine KI-Texterkennungslösung aus der Schweiz. Die Effizienz­steigerung ist beachtlich.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/01

     

Wie einige der hiesigen Unternehmen steckt auch die Coop-Tochter Interdiscount im Mammutprojekt der Migration auf SAP S/4 Hana. Das Projekt soll 2026 abgeschlossen sein. In diesem Rahmen wurden bestehende Prozesse und Lösungen natürlich auch hinterfragt, neu evaluiert und ersetzt. Eine dieser neu eingeführten Lösungen betrifft die KI-gesteuerte Dokumentenverarbeitung.

Diese kommt vom ETH-Spin-off BLP Digital, übernimmt die vollautomatische Erfassung von Dokumenten und tauscht die Daten nahtlos mit dem ERP-System aus. Menschliches Zutun und die damit einhergehenden Fehler sollen damit möglichst vermieden werden. Und natürlich erhoffte man sich mit der Einführung eine massgebliche Effizienzsteigerung.


«Tatsächlich waren wir bis zur Einführung vor etwa einem Jahr noch voll im Abtipp-Modus, wenn es etwa um die Erfassung von Rechnungen unserer Lieferanten ging», berichtet Salomon Moser, Leiter Business Analyse und Fach-Projektleiter im SAP-Transformationsprojekt bei Interdiscount. Nachdem die erste Phase des Projekts – die Stammdatenverwaltung – abgeschlossen war, kümmerte man sich beim Elektronikhändler in der zweiten Phase des Grossprojektes um den gesamten Bestellungsvorgang. Und obwohl die Dokumentenerfassung mit KI nicht einmal auf dem ursprünglichen Projektplan stand, verstand man bei Interdiscount rasch, dass eine solche Lösung massive Effizienzsteigerungen ermöglichen würde, als der Vorschlag aus den eigenen Reihen auf den Tisch kam.

Moser: «Gestartet haben wir anfangs nur mit den Rechnungen und Auftragsbestätigungen – diese wurden bisher wie gesagt abgetippt oder von Hand gescannt. So auch Bestellungen, Auftragsbestätigungen et ­cetera.» Bei einem Unternehmen wie Interdiscount spricht man hier von einer enormen Zahl an Dokumenten. Und damit – zumindest theoretisch – von einem ebenso enormen Datenberg. «Aber die schiere Zahl dieser Dokumente verunmöglichte die produktive Nutzung dieser Daten, weil wir uns diese Kapazitäten schlicht nicht leisten konnten.»

Ein Gamechanger

Der Prozess der Lösung, die heute im Einsatz ist und mit der man nun immerhin schon etwa ein Jahr lange Erfahrung sammeln konnte, läuft vereinfacht gesagt folgendermassen ab: Alle Dokumente laufen über ein speziell eingerichtetes Outlook-Postfach. Auf diese Adresse schicken die Lieferanten die Rechnungen und an diese Adresse schicken auch die Scanner im Unternehmen von Hand gescannte Dokumente. Die Lösung von BLP Digital, die auf Google-Servern in der Schweiz läuft, nimmt die PDF-Dateien und startet eine Open Character Recognition (OCR). Die gelesenen Informationen werden nun von einer KI mit den Daten aus dem SAP-System (Bestelldaten und Wareneingangsdaten) abgeglichen.

Dabei interpretiert die KI die Textfelder auf dem Dokument selbst, was nicht ganz trivial ist, denn bei jedem Lieferanten sehen diese etwas anders aus. In Zusammenarbeit mit dem Hersteller wurde festgelegt, welche Informationen auf dem Dokument erkannt werden müssen und welche Abweichungstoleranzen gelten. Was auf dem Dokument die Auftragsnummer und was der Rechnungsbetrag ist, ist damit eine der Aufgaben, die die KI übernimmt.


Ganz allein lassen sollte man Texterkennungslösungen erfahrungsgemäss zwar nicht (Stichwort: Xerox-Bug), glücklicherweise kontrolliert sich die KI innerhalb der Lösung aber gleich selbst: Sie gleicht die eingehenden Lieferscheine und Rechnungen mit den Daten aus dem Einkauf, also etwa der Bestellung, ab, wie Moser erklärt. Stellt die KI dabei eine Abweichung zwischen den Daten der eingelesenen Datei und den Daten im SAP-System fest, wird in der Weboberfläche der Lösung eine offene Aufgabe erstellt. Eine solche Unsicherheit muss dann von einem Anwender aufgelöst werden. Wenn alle als relevant deklarierten Felder frei von Unsicherheiten sind, stösst das Tool die Weiterleitung ins SAP-System an und der Beleg wird im ERP abgelegt.

«Damit konzentrieren wir uns heute nicht mehr aufs Abtippen, sondern eben nur auf die wenigen Ausnahmen, welche die Software meldet. Ein Gamechanger!», so Moser. Die Automatisierung dieses Prozesses zielt natürlich auf die Masse der Dokumente ab. Bei komplizierteren Beispielen ist ein menschlicher Eingriff teils unumgänglich. «Durch das Anlernen der Software und die gute Zusammenarbeit mit BLP werden wir immer besser. Wir sind momentan bei zirka 50 Prozent vollautomatisierter Buchungen bei Auftragsbestätigungen, bei Rechnungen erreichen wir etwa 80 Prozent. Bei den restlichen Dokumenten erkennt die Software Teile der Daten nicht oder der Mensch muss etwas tun, weil zum Beispiel ein Preis nicht stimmt.»

Da man im vergangenen Jahr gute Erfahrungen gemacht hat, wird das Einsatzgebiet der KI-Lösung in der dritten Phase des SAP-Projekts auch gleich weiter ausgebaut, wie der Projektleiter berichtet. «Wir wollen die Lösung bald auch für die Wareneinlieferung nutzen und etwa die Anlieferungen automatisch einlesen.» Positiver Nebeneffekt: Die genannte Gegenprüfung mit den Daten aus dem Procurement, die bei den Rechnungen aktuell für die Fehlererkennung genutzt wird, kann im Fall der Warenlieferungen zusätzlich auch für die Kontrolle der Liefertermine genutzt werden. Auch das war bisher nur in mühsamer Handarbeit möglich. «Wir versprechen uns also auch für die Zukunft in weiteren Bereichen viel von der Lösung», so Moser.

Die Prozesskette besser verstehen

Dass mit diesen Erfahrungen keine negativen Reaktionen aus der Führungsetage kommen, liegt auf der Hand. Auf Mitarbeiterseite hingegen werden aber einige Arbeitskräfte von ihren Aufgaben befreit. So repetitiv diese Arbeit auch sein mag – jemand hat sie doch gemacht. Damit stellen sich auch Fragen zum Thema Change Management und User-Akzeptanz. «Natürlich ist Change Management hierbei ein wichtiges Thema», bestätigt Moser. «Durch die ganze SAP-Transformation ist das Unternehmen derzeit aber sowieso schon etwas in Bewegung und alle wissen, dass die Prozesse aufgemischt werden.» Die Folge ist laut Moser aber so oder so, dass die Mitarbeiter, statt stumpf Dokumente abzutippen, nun verstehen müssen, was vor und nach dem Einlesen des Dokumentes passiert und wie die Handhabung allfälliger Ausnahmen stattzufinden hat. «Wir müssen unsere Leute also gezielter für die gesamte Prozesskette sensibilisieren.»

Datenschutz und Security

Nach allfälligen Stolpersteinen gefragt, betont Moser die Überlegungen, die man sich zum Thema Datenschutz und Sicherheit machen muss, bevor man eine KI-Lösung integriert.

Denn bei der Verarbeitung landen Daten von Interdiscount auf den Servern von BLP. Diese stehen daher aus offensichtlichen Gründen in der Schweiz. «Bei uns werden im Moment zwar keine sensiblen Personendaten übermittelt, aber immerhin Business-Interna wie Einkaufspreise und ähnliches», so Moser. Falls man in Zukunft auch heiklere Geschäfts- oder Personendaten über diese oder eine vergleichbare Lösung verarbeiten wollte, müsste man sich also genau über die Architektur Gedanken machen, wie er anfügt.


Wichtiges Detail: Die eingesetzte OCR-KI lernt zwar weiter, aber nur, wenn ein Fehler passiert und ein Kunde wie Interdiscount diesen beim Hersteller meldet. Dieser korrigiert solche Fehler in wöchentlichen Releases, was die Lösung laufend verbessert, wovon letztlich alle Kunden profitieren.

In diesem Zusammenhang kommt Moser auch auf die Tiefe der Integration zu sprechen: «Wichtig ist in meinen Augen die Überlegung, wie austauschbar ein Anbieter ist und wie nahe man seine Lösung ans Core-System heranlassen darf. Je mehr Informationen man der KI zukommen lässt, desto mehr profitiert man davon. Aber desto schwieriger wird es eben auch, eine Lösung auszutauschen.» Dieses Klumpenrisiko in Schach zu halten, wird bei der Einführung von KI-Lösungen wohl in vielen Fällen zur Herausforderung und muss eine zentrale Überlegung bei der Evaluierung sein.

Ein Managementthema

Die Dokumentenverarbeitung ist der erste KI-Gehversuch bei Interdiscount. Dank den guten Erfahrungen und mit immer mehr durchdachten Anwendungen auf dem Markt ist ein breiterer Einsatz von KI im Unternehmen naheliegend. «Eines der möglichen Einsatzgebiete, das wir sicher genauer anschauen werden, ist der Einsatz von KI bei diversen Kundenanfragen und einfachen Kaufberatungen», so Moser. Ein einfaches Beispiel ist etwa eine Kaufempfehlung für eine Nachfolgelösung, wenn der Kunde ein Produkt sucht, das nicht mehr hergestellt wird. Bisher war das eine etwas mühsame Suche von Hand, in Zukunft ist das wohl ein Leichtes für eine KI.


Einmal mehr: Repetitive Arbeitsschritte wie das eben genannte Durchsuchen der Produktedatenbank oder eben das Abtippen einer Rechnung haben damit wohl kaum Zukunft. Salomon ­Moser: «Damit wird das nun zum Managementthema, denn diese Jobs werden in absehbarer Zeit durch KI abgelöst. Da braucht es gute Lösungen in jeder Hinsicht.» (win)


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