Locatee macht das Bürogebäude intelligent
Quelle: Locatee

Start-up

Locatee macht das Bürogebäude intelligent

Das Zürcher Start-up Locatee macht sich daran, die Effizienz der Belegung von Gebäuden zu steigern. Darüber hinaus träumt das Team vom intelligenten Gebäude, das sich eigenständig verwaltet.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2018/01

     

Man muss Thomas Kessler im Zürcher Baslerpark suchen, wenn man sich mit ihm treffen will, denn er könnte irgendwo sein im rund 700 Quadratmeter grossen Coworking Space, wo seine Firma Locatee untergebracht ist. Hier haben die wenigsten Mitarbeiter der 14 ansässigen Start-ups einen festen Arbeitsplatz, Desk Sharing ist die Devise. Ihnen steht lediglich ein kleiner Spind zur Verfügung, in dem sie persönliche Dinge verstauen können, dann suchen sie einen freien Arbeitsplatz. "Wir leben vor, wofür unsere Firma steht", sagt der grossgewachsene Bündner. Der 30-jährige Kessler hat einen Abschluss der HSG in Business Innovation und ist CEO von Locatee, einem Start-up, das er 2014 mit seinem Schulfreund Benedikt Köppel gegründet hat, der als CTO amtet und für die technischen Aspekte der Lösung verantwortlich ist. Locatee hilft Unternehmen mittels einer eigens dafür entwickelten Software-Lösung, den vorhandenen Platz in Firmengebäuden optimal zu nutzen. "Heute arbeiten die Menschen ganz anders als noch vor fünf oder zehn Jahren", erklärt Kessler. "Die Zeiten, in denen jeder Mitarbeiter einen eigenen Schreibtisch mit einem eigenen Desktop-Rechner hatte, sind definitiv vorbei. Nur noch wenige Funktionen benötigen einen fixen Arbeitsplatz." Seit der Einführung der Smartphones und Tablets und der weiteren Verbreitung von Notebooks ist die Arbeit viel mobiler und flexibler geworden und mit ihr auch die Mitarbeiter der Unternehmen. "Die Firmen suchen deshalb nach Möglichkeiten, die Büroflächen besser beziehungsweise optimal zu nutzen."


Desk Sharing ist ein nicht ganz neues Konzept, das sich in den letzten Jahren immer weiter ausgebreitet hat. Dieses sieht vor, dass es keine fixen Arbeitsplätze gibt und dass deren Zahl geringer ist als diejenige der Mitarbeiter, unter der Prämisse, dass praktisch nie alle zeitgleich anwesend sind, sei dies aufgrund von Aussendiensttätigkeiten, weil einige im Urlaub sind, aus Krankheitsgründen oder weil wiederum andere einen Militärdienst absolvieren. Dies schafft neue Herausforderungen für die Unternehmen und deren Mitarbeiter und stellt gleichzeitig neue Anforderungen an althergebrachte Raumkonzepte. So wie sich die Arbeitswelt und die Arbeitsweise hin zu flexibleren Modellen wandeln, so müssen auch die Büroflächen und die Arbeitsplätze flexibler werden.

Aus Erfahrungen gelernt

Die eigenen Erfahrungen in der modernen Arbeitswelt brachten die Gründer von Locatee schliesslich auf ihre Geschäftsidee. Kessler arbeitete bei Credit Suisse im Smart Working Environment, in dem Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz je nach Aufgabe auswählen: "Muss ich fokussiert arbeiten, gehe ich in die Fokuszone, muss ich kollaborativ arbeiten, dann gehe ich in die Kollaborationszone und so weiter." Eines Tages seien Studenten vorbeigekommen und hätten anhand von Listen die Belegung der Arbeitsplätze manuell erfasst. Das Real Estate Team wollte wissen, ob die Bürofläche optimal genutzt wurde oder ob es Verbesserungspotenzial gab. "Parallel dazu arbeitete Benedikt Köppel bei UBS in einer ähnlichen Umgebung ohne fixe Arbeitsplätze. Dort wurde er ständig von Leuten gefragt, wo sich dieser oder jener Mitarbeiter aufhalte, konnte aber oft keine Auskunft geben. Er überlegte, dass er die gesuchte Person finden könnte, wenn er die MAC-Adresse von deren Gerät kennen würde, mit der sich der Standort im Netzwerk bestimmen liesse. "Die zündende Idee entstand, als wir diskutierten, wie man Büroflächen in Zeiten des Desk Sharing neu verstehen und definieren müsste", erzählt Kessler.
Bereits 2015 entstand der erste Prototyp und im April desselben Jahres konnte mit Biogen der erste Kunde verzeichnet werden. Der US-amerikanische Pharmakonzern wuchs rasant und beschäftigte sich mit der Frage, ob neben den zwei bestehenden Bürogebäuden ein drittes gebaut werden müsste. "Wir haben dann mit unserer Lösung Messungen durchgeführt und ermittelt, wo sich die Mitarbeiter und deren Geräte während der Arbeitszeit aufhalten und wie sie sich in den Gebäuden bewegen. So konnten wir feststellen, dass die beiden bestehenden Gebäude genug Platz boten für weitere Mitarbeiter", fasst Kessler den ersten Anwendungsfall zusammen. Ermittelt wird der Standort der Mitarbeiter entweder über fix installierte Ethernet-Schnittstellen oder aber über die Lokalisierung von WLAN-Geräten. "Darin unterscheidet sich unsere Lösung fundamental zu denen anderer Anbieter, die beispielsweise Sensoren verwenden, um die Belegung der Arbeitsplätze zu ermitteln, was aber einen physischen Eingriff vor Ort zur Folge hat, oder diese manuell erfassen und dann auswerten. Unsere Lösung skaliert sehr einfach und grundsätzlich unbegrenzt", so Kessler.

Ein Gehirn für ein Gebäude

Locatee verwendet ausschliesslich Daten, die ein Unternehmen zur Verfügung stellt. Diese kommen aus den Bereichen IT, Facility Management, Corporate Real Estate sowie HR und bilden den Kern der Lösung. Sie werden anonymisiert und mittels Machine-Learning-Algorithmen analysiert und aufbereitet. In einer Ebene darüber laufen unterschiedliche Applikationen. So gibt es eine Work­space-Analytics-Applikation, mit der man Flächenoptimierungen vornehmen kann, und eine Mobile App mit Fokus auf die Mitarbeiter, die diesen beispielsweise hilft zu eruieren, wo sich Kollegen oder andere Personen im Gebäude aufhalten, sofern diese das natürlich wollen. Nicht zuletzt gibt es eine Applikation, die aufgrund der Belegung die Optimierung der Heizung, Klimaanlage, Lüftung oder die Planung von Reinigungszyklen ermöglicht.


"Es ist das Thema Smart Building, das uns sehr stark beschäftigt", resümiert Thomas Kessler. "Das Potenzial für die Optimierung von Büroflächen und der Arbeitsplatzqualität ist weltweit enorm. Ich würde die Hand dafür ins Feuer legen, dass die meisten Büroflächen grosser Unternehmen nur rund zur Hälfte belegt sind." Die Flächeneffizienz sei aber angesichts des Kosten- und Konkurrenzdrucks ein wichtiger Faktor. Ebenso wichtig sei die Schaffung einer Arbeitsumgebung, in der sich die Mitarbeiter wohl fühlen und effizient kollaborieren könnten. Dies sei auch essenziell, um die besten Talente anzuwerben. "Das moderne Bürogebäude muss die Mitarbeiter in ihrer Tätigkeit unterstützen, und ausserdem dürfen im Betrieb keine Ressourcen wie Fläche oder Energie verschwendet werden. Letztlich geht es darum, die Einsparungen im Bereich der Büroflächen in die Qualität der Arbeitsplätze zu reinvestieren. Es soll ein Ort entstehen, wo Mitarbeitende von sich aus arbeiten wollen und nicht müssen", gibt Thomas Kessler zu bedenken.

Ein grosser Markt steht offen

Das technologische Wettrüsten der Grossunternehmen spielt Locatee in die Hände, weil diese immer mehr auswertbare Daten generieren, genauso wie der Kosten- und Margendruck, denn in der Schweiz kostet ein Arbeitsplatz pro Jahr rund 10’000 bis 15’000 Franken. "Das Marktpotenzial ist riesig. Real Estate ist die zweitgrösste Position in der Erfolgsrechnung eines Grossunternehmens", so Kessler. Locatee liefert in einem ersten Schritt Analysedaten, die von der Unternehmensführung dazu genutzt werden können, um Gebäude effizienter und intelligenter zu gestalten. Davon profitieren neben dem Corporate Real Estate auch weitere Abteilungen wie das HR und die Finanzen und nicht zuletzt auch die Mitarbeiter. Heute hat das Start-up Kunden in der Schweiz, in nordischen Ländern und in Deutschland, darunter die Schweizerische Post, UPC, ABB und Biogen, aber schon bald sollen auch Grossbritannien, die USA und Asien erschlossen werden. Das Jahr 2018 steht im Zeichen der Internationalisierung: "Wir wollen die Fortune-2000-Unternehmen erreichen. Über eine Milliarde Menschen arbeiten hauptsächlich im Büro", skizziert Kessler die hoch gesteckten Ziele. "Die Vision ist ein Gebäude, dem wir sozusagen ein Gehirn geben, und das damit wiederum die Mitarbeiter unterstützt, indem es zum Beispiel über eine App Informationen liefert, wo man was oder wen finden kann. Man geht davon aus, dass die Daten, die ein Gebäude liefert, schon bald mehr wert sein werden als das Gebäude selbst."
Locatee beschäftigt heute rund zehn Mitarbeiter. Thomas Kessler und sein Team träumen vom Gebäude, das sich mit Hilfe ihrer Software selbst steuert und verwaltet und beispielsweise die Heizung herunter regelt, wenn ein Stockwerk weniger ausgelastet ist. "Ich vergleiche die neuesten Entwicklungen im Gebäude­bereich gerne mit Fortschritten in der Autoindustrie: Google, Tesla oder Uber arbeiten an autonomen Fahrzeugen. Ich bin überzeugt, dass dank künstlicher Intelligenz Gebäude in Zukunft ähnlich autonom werden." Dass Locatee etwas Grösserem auf der Spur ist, zeigt das Engagement von Thomas Dübendorfer, Ex-Googler und Business Angel, sowie Gregor Stücheli, IT-Unternehmer und CEO von Inventx. Man darf gespannt sein, wohin die Reise geht. (luc)


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