Interview: "Immer mehr Schweizer KMU setzen darauf, sich zu transformieren"

Interview: Fridel Rickenbacher

Switzerland Global Enterprise (S-GE) hilft Unternehmen im Auftrag des Bundes und der Kantone, neues Potenzial für ihr internationales Geschäft zu schaffen. CEO Daniel Küng gibt Einblicke in die Herausforderungen für das Exportland Schweiz in den neuen digitalisierten Märkten.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2017/11

     

Die Digitalisierung ist geprägt von disruptiven Chancen und gleichzeitig komplexen Herausforderungen. Gelingt dem Exportland Schweiz dieser Hochseilakt? Erkennen die Schweizer Firmen die Chancen der 360-Grad-Transparenz durch die Digitalisierung?
Wir bei Switzerland Global Enterprise arbeiten vor allem mit kleinen und mittleren Schweizer Unternehmen, sowohl Start-ups als auch solchen mit einer langen Tradition. Sie haben die besten Startvoraussetzungen, um in der Digitalisierung zu bestehen, schliesslich sind sie es gewohnt, sich seit vielen Jahren an schwierige Umweltbedingungen anzupassen, zum Beispiel unsere Währungssituation. Aufgrund des kleinen Marktes Schweiz müssen viele KMU schon früh aufs Auslandsgeschäft setzen. Das stärkt ihre Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb setzen immer mehr KMU darauf, sich zu transformieren und die Chancen der Digitalisierung zu nutzen – so wie sie immer alle Chancen zur Optimierung genutzt haben.


In vielen Rankings steht die Schweiz bezüglich Forschung, Lehre, Innovation, Digitalisierung, Unternehmertum und Start-up-Szene offenbar sehr gut da im internationalen Vergleich. Stimmt das aus Ihrer Sicht? Was braucht es an weiteren Investitionen?
Selbstverständlich stimmt das – wir sehen auch an prominenten ausländischen Ansiedlungen, dass die Schweiz ein Premium-Standort ist und trotz Frankenstärke Firmen begeistern kann. Denken Sie an Biogen – das Biotech-Unternehmen hat sich 2015 für die Schweiz entschieden. Wir als internationale Standortpromotion der Schweiz durften den Prozess begleiten. Allerdings dürfen wir auch den internationalen Wettbewerb nicht unterschätzen, dem der Schweizer Unternehmensstandort ausgesetzt ist. Andere Länder investieren viel mehr in ihr Eigenmarketing.
Serie Digitalisierung
In den letzten Jahren wurden einige wichtige Gesetzesvernehmlassungen, Bundesvorstösse und Standortbestimmungen für neue oder überarbeitete Gesetze wie das EPDG, DSG oder die E-ID in Angriff genommen. Diese stellen grundlegende Weichen für die Digitalisierung des Wirtschaftsstandortes Schweiz und von Fachbereichen wie dem Datenschutz, dem Schweizer Gesundheitswesen (E-Health) und der elektronischen Identität. Das swissICT Magazin beleuchtet diese Entwicklungen in einer Serie aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Kommende für die weitere Digitalisierung prägende Regulationen in Bereichen wie dem Datenschutz (CH-DSG, EU-DSGVO / GDPR) haben längst grenzüberschreitende Auswirkungen und können nicht mehr nur innerhalb der Landesgrenzen isoliert betrachtet und abgedeckt werden. Wo sehen Sie notwendige Impulse und "call for action" für international aktive Schweizer Firmen?
Einige Regulierungen gelten grenzüberschreitend, andere nur in bestimmten Ländern. Wir raten grundsätzlich dazu, einen neuen Markt genau zu analysieren und die Situation für die eigene Branche genau abzuklären, bevor erste Schritte unternommen werden. Es kommt immer wieder vor, dass Unternehmen aufgrund einer Opportunität aktiv werden und erst dann feststellen, welch grossen Aufwand solche rechtlichen Unterschiede generieren können – und damit teilweise den ganzen Business Case in Frage stellen.


Was raten Sie Organisationen bei der Zusammenarbeit mit ausländischen Serviceanbietern?
Das hängt ganz vom Land ab. Bei S-GE geht es ja in den meisten Fällen um Partner, mit denen man gemeinsam einen neuen Markt erschliesst. Zu Beginn müssen beide Seiten klar kommunizieren, was ihre Ziele und Interessen sind. In vielen Märkten spielt zudem der Aufbau einer persönlichen Vertrauensbeziehung eine grosse Rolle, die häufig unterschätzt wird und die viel Zeit benötigt.
Im wichtigen Fokusthema "New Leadership" im Rahmen der "Industrie 4.0" müssen sich viele Schweizer Unternehmen dem Spagat und der Agilität zwischen "erfolgreicher Tradition und noch chancenreicherer Innovation" stellen. Wie schaffen die Schweizer Unternehmen und die in Verantwortung stehenden Führungsebenen das – vor allem die KMU –, ohne beim "Hochseilakt" abzustürzen?
Es tönt alles immer sehr schwierig und komplex. Doch, wie eingangs erwähnt, eigentlich geht es hier um Kernkompetenzen von Schweizer KMU: Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Kreativität. Wir sind keine Spezialisten in der Managementberatung, doch wir sehen, dass viele unserer Kunden vorankommen, wenn sie sich nicht übernehmen, sondern Schritt für Schritt vorangehen. Niemand muss von heute auf morgen die ganze Organisation umbauen. Man kann doch ausprobieren, experimentieren.


Mindsets und Strategien zur erfolgreichen Digitalisierung / Industrie 4.0 funktionieren am besten wie Fallschirme – wenn sie offen sind. Was raten Sie diesbezüglich den Schweizer Unternehmen und vor allem der Führung? Was für Impulse geben Sie denen mit auf ihren Weg?
Zunächst einmal, dass niemand das Rad neu erfinden muss. Gute Ideen für neue Konzepte gibt es in der eigenen oder sogar in anderen Branchen vielleicht schon. Wir raten dazu, dass sich Führungsleute mit anderen austauschen, sich inspirieren lassen. Wenn wir zum Beispiel eine Geschäftsreise organisieren – eine unserer klassischen Dienstleistungen –, dann setzen wir nicht nur individuelle Termine für Behörden und Entscheider auf, sondern bringen auch immer Exporteure und ansässige Firmen vor Ort zusammen.
Sind "neue Geschäftsmodelle" überhaupt noch möglich ohne Digitalisierung im international umkämpften Markt?
Grundsätzlich ja – die Digitalisierung, der Einsatz neuer Technologien darf kein Selbstzweck sein. Es muss darum gehen, wichtige Kundenbedürfnisse im Zielmarkt zu befriedigen, darum, neue clevere Geschäftsmodelle zu finden, mit denen sich auch Geld verdienen lässt. Häufig helfen Technologien dabei, das auf neue und attraktive Art und Weise zu tun – wenn etwa ein Produkt nicht verkauft wird, sondern als Dienstleistung gemietet werden kann, kann dies Fixkosten für den Abnehmer reduzieren. So macht es etwa Elite SA, ein KMU, das Luxusmatratzen herstellt, aus Aubonne. Doch es kann auch Geschäftsmodelle geben, wo dies noch nicht so bedeutsam ist. Allerdings darf man sich da nicht in falscher Sicherheit wiegen, schliesslich beobachten wir heutzutage immer häufiger, dass Technologiefirmen in ganz andere Branchen eindringen – und deren Player überraschen.


Wie beurteilen Sie die Regulierungsdichte und Digitalisierungsreife der Schweiz, auch unter dem Aspekt von dosierter Risikobereitschaft? Verbannen wir die Zukunft und Innovation ins Ausland? Sind und bleiben wir "Leaders" oder werden wir nur noch "Followers"?
Die Schweiz ist einer der weltweiten Innovationsführer, das ist Fakt. Und genau deshalb haben wir auch das Zeug, zum Innovationsführer für Geschäftsmodelle zu werden.
Intakte Handelsbeziehungen sind der Schlüssel für den weiteren Erfolg des Exportlands Schweiz. In welche Länder und Märkte sollte die Schweiz investieren? Und in welche Schweizer KMU? In welche Branchen investieren ausländische Investoren speziell?
Wir argumentieren seit Jahren für eine stärkere Diversifizierung der Schweizer Auslandsaktivitäten. Noch immer gehen über 50 Prozent unserer Exporte in die EU. Die EU wird auch immer extrem wichtig bleiben als Handelspartner, schliesslich haben wir hier einige der grössten Volkswirtschaften der Welt direkt vor unserer Haustür. Doch in Asien entstehen gerade neue Schwergewichte. Wir haben zum Beispiel gerade in diesem Sommer in Indonesien einen neuen Swiss Business Hub eröffnet – eine von 22 Aussenstellen, die jeweils bei den Schweizer Botschaften angesiedelt sind, um auch KMU dabei zu helfen, diesen komplexen Markt zu erschliessen und sich frühzeitig zu positionieren. Schon 2030 werden in Asien zwei Drittel des weltweiten Mittelschicht-Konsums getätigt werden.


Wie wichtig sind Digitalisierungs-Hypes wie "Data Monetization", "Big Data", "AI", "autonome Systeme" oder "FinTech / RegTech" für Exporteure, um international wettbewerbsfähig zu bleiben?
Das ist schwer abschätzbar. Man muss, mindestens was die Information anbelangt, dranbleiben, damit man rechtzeitig aufsteigen kann, falls sich einer dieser Hypes nachhaltig durchsetzen sollte. Mindestens AI ist von mir aus gesehen ein Thema, das uns in der Zukunft noch stark beschäftigen und viele Innovationen befeuern wird. Aber eben – Technologie darf nicht zum Selbstzweck werden. Wir müssen sorgsam prüfen, wie wir sie in Hinblick auf Produkt- oder Geschäftsmodellinnovation einsetzen können.

Daniel Küng

Daniel Küng leitet seit 2004 als CEO die Geschicke von Switzerland Global Enterprise (S-GE, ehemals Osec). Nach Abschluss seines Studiums an der HSG St. Gallen war Küng ab 1980 für zwei Jahre bei der Mercedes-Benz do Brasil in São Paulo tätig. 1982 gründete und führte er eigene Firmen in Brasilien und Portugal, spezialisiert auf Beratung, grenzüberschreitendes Geschäft und Unternehmensansiedlungen aus dem Ausland. Küng engagierte sich in diversen Handelskammerorganisationen und präsidierte die Portugiesisch-Schweizerische Handelskammer. Er sitzt im Vorstand von digitalswitzerland und in Beratergremien internationaler Organisationen.


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